18.09.2023

Wohnen ist ein Menschenrecht! Außergewöhnliche Aktion macht in Braunschweig Wohnungslosigkeit sichtbar


Unter dem Motto „Wohnungsnot und (k)ein Ende? Gemeinsam handeln! Fand am vergangenen Wochenende ein besonderer Aktionstag auf dem Braunschweiger Altstadtmarkt statt. Rund 200 Besucherinnen und Besucher kamen zu der Veranstaltung. Stände der teilnehmenden Einrichtungen und Organisationen, darunter auch die Jugend- und Drogenberatung Drobs und das Betreute Wohnen Pippelweg, informierten über ihre Arbeit und wiesen auf die prekäre Situation obdachloser Menschen hin.

Organisator war die „Initiative Notruf Wohnungsmarkt“, ein breites Bündnis sozialer Institutionen in Braunschweig, das vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Die Initiative fordert einen kommunalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit in Braunschweig bis 2030. Sieben Vertreterinnen und Vertreter sozialer Einrichtungen - darunter die Jugend- und Drogenberatung (Drobs), die paritätischen Mitgliedseinrichtungen der Weg e.V., Insitut für persönliche Hilfen e.V. und CURA e.V. übergaben am Samstagabend die Forderungen zum kommunalen Aktionsplan an die Stadtverwaltung.

Michael Bahn, Regionalleiter der Diakonischen Gesellschaft Wohnen und Beraten, fand zu Beginn der Veranstaltung klare Worte: „Wohnungslosigkeit ist mitten unter uns, sieben Tage die Woche, 24 Stunden täglich zu jeder Jahreszeit. Wir wollen die gravierende Notsituation sichtbar machen, Wohnungslosigkeit bekämpfen, damit die Menschen gesund leben und ein Dach über dem Kopf haben. Das Leben auf der Straße ist sehr hart, ein Überlebenskampf. In diesem Jahr sind bereits zwei Menschen gestorben. Zwei Menschenleben zu viel.“

Baudezernent Hans-Georg Leuer wies in seinem Grußwort auf die Anstrengungen der Stadt hin, sozialen Wohnraum und spürbare Entlastungen zu schaffen. Aktuell werden rund 6000 neue Wohnungen errichtet, davon 30 Prozent als Sozialwohnungen. Weitere 6000 Wohnungen mit entsprechendem Anteil sollen folgen. Aber die aktuellen Herausforderungen im Bausektor sind groß: hohe Inflation, Zinsen und Materialknappheit erschweren die Situation. „Wir haben die Problemlage im Auge“, so Leuer. Der Stadtbaurat blickt dennoch positiv in die Zukunft, insbesondere aufgrund der intensiven und guten Zusammenarbeit mit dem Bündnis und allen Akteuren.

Im Anschluss wurden Baudezernent Leuer folgende Forderungen, symbolisch ergänzt durch typische Utensilien eines Wohnungslosen wie Trinkflasche, Besteck, Schlafsack und Isomatte überreicht:

 1.       Wir brauchen sehr viel mehr bezahlbaren Wohnraum für Einpersonenhaushalte und sehr große Bedarfsgemeinschaften

2.       Quote von der Quote - Die ZSW stärken - 30 % von geschaffenen bezahlbaren Wohnraum gehen in den Pool der ZSW

3.      Verlust weiterer Belegungsrechte stoppen und wieder ausbauen – Ankauf / Anmietung von Wohnraum durch die Stadt

4.      Schaffung von bezahlbaren Wohnraum in allen Stadtteilen

5.      Fördermittel durchs Land für den Bau von Whg. für wohnungslose Menschen – Stiftung ein Zuhause

6.      Kommunen nicht alleine lassen - Sonderprogramme / -förderungen von Bund + Land für den Bau von Wohnraum für wohnungslose Menschen

Auch Christos Pantazis, Bundestagsabgeordnete der SPD sprach ein kurzes Grußwort und sagte: „Die Rahmenbedingungen haben sich leider verändert, sodass wir als Bundesregierung bis dato unserem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden sind. Wir müssen hier sicherliche eine Schippe drauflegen. Dabei ist nicht nur der Bund, sondern sind auch die Länder gefordert. Aber, wir müssen nicht nur bauen, sondern auch sozialen Wohnraum erhalten.“ „Müssen uns bemühen, dieses Problem ernsthaft anzugehen. Wohnen ist ein Menschenrecht, machen Sie Druck auf uns als Politik“, meinte Pantazis. „Wir werden Sie in die Pflicht nehmen“, kündigte Regionalleiter Bahn an.

Ein gemeinsames Gruppenfoto mit allen Teilnehmenden symbolisierte die Zahl der 360 Wohnungslosen in der Stadt. Zudem waren 360 Umzugskartons gestapelt und als Mauer errichtet, die gleichzeitig eine unüberwindbare Mauer für Wohnungslose zur Teilhabe und Teilnahme an einem menschenwürdigen Leben darstellen sollte.

Ein weiteres, besonderes und sichtbares Zeichen zum Thema Wohnungslosigkeit folgte: direkt auf dem Altstadtmarkt bereiteten sich rund zwanzig Menschen, sowohl Betroffene, als auch Mitarbeitende von sozialen Einrichtungen, darauf vor, auf dem Platz zu übernachten.

Als Programm gab es zudem einen Redebeitrag eines Vertreters des Armutsnetzwerks, eine Lesung von Verena, einer Mitarbeiterin der Drobs, die die autobiographische Geschichte eines Braunschweiger Wohnungslosen las und Musik der Braunschweiger Band ZOMAC.

In Kartons, in Zelten, auf einem Sofa oder auch unter freiem Himmel versuchten die Teilnehmenden etwas Schlaf zu finden und konnten die Situation eines obdachlosen Menschen - zumindest als Momentaufnahme – nachempfinden.

Bis weit in die Nacht wurde sich ausgetauscht, gemeinsam gespielt, erzählt und auch gelacht. Die ungewöhnliche Aktion endete am nächsten Morgen gegen 7 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück, bevor der Abbau startete und der Platz schnell wieder geräumt war. Eine friedliche und bemerkenswerte Aktion, die hoffentlich lange nachhallt.

Das Bündnis „Initiative Notruf Wohnungsmarkt“ existiert seit 10 Jahren. Akteure sind die Straffälligenhilfe Cura, die Flüchtlingshilfe Refugium, der Paritätische Braunschweig, die Obdachlosenhilfe „HiOb“, das soziokulturelle Zentrum „KaufBar“ des Roten Kreuzes, der Verein „der Weg“, die Braunschweiger AIDS-Hilfe, der Jugendmigrationsdienst, die Caritas, das Frauenhaus AWO, das Armutsnetzwerk und die „Insel“, die Beratungsstelle für Erwachsene mit psychischen und seelischen Erkrankungen.